Aus BRASIL-POST, Sao Paulo / Brasil, vom 30. Januar 2004
"Ich habe nichts mehr - und dennoch alles"
Erlebnisbericht eines Wehrmachtsoffiziers Mein Quartier war in der Hütte eines alten Mannes. Wenn ich am Abend von der
Beobachtungsstelle zurück kam, dann sah ich ihn oft lange und stumm an. Es war etwas Besonderes um
diesen alten Russen. Seine Nähe war wohltuend inmitten der Tage, die von Kampf, Leid und Tod erfüllt
waren.
Auf meine Frage, ob ich ihn zeichnen dürfe, willigte er ein. Während des Zeichnens enträtselte
er mir sein Leben: Er war 80 Jahre alt, ehemaliger zaristischer Offizier, Großgrundbesitzer, verheiratet, hatte
sieben Söhne und fünf Töchter. Man hatte ihn mit der ganzen Familie 27 Jahre nach Sibirien
verbannt. Dort starben seine Frau und sieben der Kinder, die restlichen fünf verlor er in diesem Krieg.
Auf meine Frage, ob er sich mit uns absetze, wenn wir zurückgehen, antwortete er: "Oh nein, was
kann ich noch verlieren? Ich habe viele Güter gehabt, ich bin durch alle Höhen und Tiefen des Lebens
gegangen, ich habe nichts mehr, nur noch dies", dabei griff er in die Tasche und brachte, in ein Tuch gewickelt,
ein Kruzifix zum Vorschein: "Das ist's, was mir geblieben ist, es ist nichts - und dennoch - alles."
Zwischen uns war ein langes Schweigen, dann nahm ich das Kreuz und hängte es um seinen Hals. Mir ist
dieses Wort im Herzen geblieben, als ein Reichtum, den ich nicht missen möchte. Es soll zu Herzen gehen
und immer da ein Licht entzünden, wo Menschen meinen, das Leid sei das Letzte in ihrem Leben.
aus der Russland-Front von 1943.